Sowjetunion: Der russische Bürgerkrieg und die Gründung der Sowjetunion

Sowjetunion: Der russische Bürgerkrieg und die Gründung der Sowjetunion
Sowjetunion: Der russische Bürgerkrieg und die Gründung der Sowjetunion
 
Die Ausrufung Russlands zur Sowjetrepublik, die Gründung des Rates der Volkskommissare als »Arbeiter- und Bauernregierung«, die Einführung der Arbeiterkontrolle in den Fabriken, die Nationalisierung der Banken und die Gründung eines Obersten Volkswirtschaftsrates waren eine Absage an den »westlichen Parlamentarismus und Kapitalismus«. Ihr erklärtes Ziel war die Schaffung einer neuen, »sozialistischen Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung«, deren erste Umrisse sich in den genannten Dekreten abzuzeichnen begannen. Eine Revision dieser Entscheidung schloss die bolschewistische Parteiführung kategorisch aus; wer auch immer sie anstrebte, war für sie ein »Konterrevolutionär«.
 
 Der politische Konflikt eskaliert
 
Die Konstituierende Versammlung, im November 1917 endlich gewählt, trat Anfang Januar 1918 in Petrograd zusammen. Ein bolschewistischer Antrag verlangte, die inzwischen geschaffenen Machtverhältnisse anzuerkennen. Als die Versammlung darauf hinwies, dass nur ein Viertel der Wähler für die Bolschewiki, die Mehrheit indes für die Sozialrevolutionäre votiert hatte und den Antrag niederstimmte, wurde sie nach nur einer Sitzung aufgelöst. Die Abgeordneten der Kadetten hatten an ihr ohnehin nicht mehr teilnehmen können; ihre Partei war bereits Ende November zur »volksfeindlichen« Organisation erklärt, ihre Führung verhaftet und ein Teil der »bürgerlichen Presseorgane« verboten worden. Anfang Dezember wurde zum »Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage« die berüchtigte »Außerordentliche Kommission« gegründet, bekannt unter ihrer russischen Abkürzung »Tscheka«. An die Stelle der Politik trat die Gewalt.
 
Die antibolschewistischen Kräfte
 
Der Bürgerkrieg hatte damit bereits begonnen, selbst wenn sich die militärischen Kräfte auf beiden Seiten noch sammelten und formierten, bevor der Krieg im Frühsommer 1918, als es zum massiven Einsatz von Truppenverbänden kam, offen ausbrach. Die Auseinandersetzungen wurden auf allen Seiten mit großer Härte geführt. Dabei ist mit der Formel »Weiß gegen Rot« nur ein Teil des Konfliktes beschrieben.
 
In den nichtrussischen Randgebieten — in Polen, Finnland und im Baltikum, in der Ukraine und auf der Krim, im Transkaukasus und in Mittelasien — hatten Krieg und Revolution die Bildung nationaler Autonomiebewegungen gefördert. Sie verlangten mehr Rechte und — immer häufiger — sogar die vollständige Unabhängigkeit von Russland. Die Bolschewiki hatten sie zunächst darin bestärkt, das alte Zarenreich als »Völkergefängnis« bezeichnet und den Nichtrussen alle Freiheiten versprochen, in der Hoffnung, die Nationalbewegungen würden sich auf ihre Seite stellen und in der neuen, sozialistischen Räterepublik verbleiben. Gegenüber den Regionen, in denen sie das nach dem Oktoberumsturz nicht taten und stattdessen auf ihrem Sezessionswunsch beharrten, änderte sich die bolschewistische Position schnell. Unabhängigkeitsbestrebungen galten nun als Ausdruck von »bürgerlichem Nationalismus«, der die Basis der Revolution schmälere und deshalb bekämpft werden müsse.
 
Im Zuge der Auseinandersetzungen schlossen sich in manchen Regionen auch die Bauern zu einer die eigenen Interessen vertretenden Gruppierung zusammen. Gerade in Gebieten, die gleich mehrfach von den wechselnden Fronten des Bürgerkriegs überrollt wurden, griffen sie — der Getreiderequisitionen und Drangsalierungen leid — nicht selten zu den Waffen, um sich und ihren Besitz — gegen wen auch immer — zu verteidigen. So liefen im Süden Zehntausende dem Anarchisten Nestor Iwanowitsch Machno, im Südosten dem Partisanenführer Aleksandr Stepanowitsch Antonow zu, deren »grüne« Verbände den Kampf gegen Rot und Weiß aufnahmen.
 
Schließlich mischten sich auch auswärtige Mächte — unter anderen Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Japan und die USA — in die Kämpfe ein. Deutsche Truppen rückten schon seit Frühjahr 1918 in der Ukraine vor, britische waren im März in Murmansk und Archangelsk gelandet, die Japaner verstärkten im April ihre Truppen in Wladiwostok, die USA folgten im Sommer, und gegen Ende des Jahres beteiligten sich auch die Franzosen; sie unterstützten britische Operationen im Schwarzen Meer. In der Endphase des Bürgerkrieges gingen die Kämpfe im Westen in einen Grenzkrieg zwischen dem neu gegründeten polnischen Staat und Sowjetrussland über.
 
Die Parteien und einige der Hauptschauplätze des Bürgerkriegs sind damit bereits genannt. Als Grundkonstellation lässt sich festhalten, dass die Bolschewiki, vollständiger Name ab 1918 »Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki)«, KPR(B), das Zentrum beherrschten, während ihre Gegner — von Osten, Süden, Westen und Norden kommend — versuchten, auf Petrograd und auf Moskau vorzustoßen, wohin die bolschewistische Regierung im Frühjahr 1918 aus Sicherheitsgründen ausgewichen war. Moskau war damit erneut, wie in der Zeit vor Peter dem Großen, zur Hauptstadt Russlands geworden.
 
 Die Phasen des Bürgerkriegs
 
Im Bürgerkrieg lassen sich drei Angriffswellen unterscheiden. Die Initialzündung zur ersten lieferte Ende Mai 1918 der Aufstand der Tschechischen Legion. Eigentlich dazu bestimmt, die russischen Kräfte im Kampf gegen die Mittelmächte zu unterstützen, war ihr Einsatz durch den Oktoberaufstand und das Waffenstillstandsabkommen hinfällig geworden. Doch der bolschewistische Versuch, die tschechischen Kriegsfreiwilligen über die Ostroute in ihre Heimat zurückzuführen, scheiterte. Sie widersetzten sich ihrer Entwaffnung und brachten das Land entlang der Transsibirischen Eisenbahn in ihre Gewalt.
 
Ihr Erfolg ermutigte Reste der alten Armee, die sich im Süden des europäischen Russlands gesammelt hatten. Unter der Führung von General Anton Iwanowitsch Denikin versuchten sie nun, nach Osten vorzustoßen, um Kontakt mit den Tschechen aufzunehmen und den bolschewistischen Kräften die Versorgungslinien abzuschneiden. Sie erhielten dabei von den Westalliierten Unterstützung. Vom raschen Vormarsch beflügelt, wurde zunächst in Samara eine sozialrevolutionäre, in Omsk eine nationalkonservative Gegenregierung ausgerufen, bevor man sich im September 1918 in Ufa auf ein gemeinsames »Direktorium« einigte.
 
Wider Erwarten überstanden die Bolschewiki den Sommer 1918, vermochten im Herbst den Ring zu sprengen und Denikin nach Süden, die Tschechen nach Osten abzudrängen. Die Kapitulation der Mittelmächte erlaubte, den mit ihnen geschlossenen Friedensvertrag für null und nichtig zu erklären; hinter ihren abrückenden Truppen marschierten rote Verbände in Weißrussland und in der Ukraine ein. Im Januar 1919 wurde eine Weißrussische, im April eine Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik ausgerufen. Die militärischen Misserfolge beendeten auch das Einvernehmen unter den Gegnern: Im November 1918 hatte die Armee Admiral Aleksandr Wassiljewitsch Koltschaks in einem Militärputsch das aus Kadetten und Sozialrevolutionären zusammengesetzte Direktorium gestürzt und der Admiral hatte als »Oberster Regent« die Macht im Osten des Landes übernommen.
 
Konzentrischer Angriff der »Weißen« auf das bolschewistische Zentrum
 
Koltschaks Vorstoß mit 125000 Mann auf den mittleren Wolgabogen leitete im Frühjahr 1919 die zweite Phase des Bürgerkriegs ein. Als die Westalliierten im Frühsommer sein Regime anerkannten, unterstellten sich ihm auch die Generäle Denikin und Pjotr Nikolajewitsch Krasnow; deren neu formierte Verbände, die etwa 150000 Mann umfassten, rückten vom Süden aus in zwei Keilbewegungen auf die untere Wolga und ins Zentrum vor. Dass nahezu gleichzeitig General Nikolaj Nikolajewitsch Judenitsch vom Baltikum aus mit einer Freiwilligenarmee in Richtung Petrograd aufbrach, schien das Schicksal der bolschewistischen Herrschaft im Spätsommer 1919 endgültig zu besiegeln. Doch erneut gelang es den Roten, die Offensive zum Stehen zu bringen; ihr Gegenangriff warf die weißen Verbände sogar noch weit hinter die Ausgangslinie zurück. Die Reste der Armee General Judenitschs wurden in Estland aufgelöst, nachdem Sowjetrussland im Dezember 1919 mit Estland einen Waffenstillstand, im Februar 1920 Frieden geschlossen hatte; ihm folgte Ende März die Unterzeichnung eines Handelsabkommens. Damit war die erste Bresche in den Ring der Feinde geschlagen; Friedensverhandlungen mit Lettland schlossen sich an. Im Osten lieferten die kriegsmüden Tschechen Koltschak an die Bolschewiki aus, die ihn im Februar 1920 erschossen. Auch im Süden verloren die Verbände Denikins, von den Roten wie den Partisanen unter Machno attackiert, immer mehr an Boden; im Frühjahr 1920 zogen sie sich auf die Krim zurück.
 
Die Bolschewiki behaupten sich endgültig
 
Die letzte Phase des Bürgerkrieges begann, als polnische Truppen Ende April 1920 die ukrainische Grenze überschritten und rasch bis Kiew vorrückten. Angesichts der instabilen Lage Sowjetrusslands und unzufrieden mit der von den Westalliierten vorgesehenen Grenzziehung, versuchte die Warschauer Regierung, nun auf eigene Faust, im Osten jene Territorien zurückzugewinnen, die vor der ersten Teilung 1772 zu Polen gehört hatten, und die dort siedelnden Litauer, Weißrussen und Ukrainer in einen föderalistischen polnischen Staat einzubinden. Der polnische Angriff und der rasche Vormarsch ließen auch die Hoffnungen der Weißen noch einmal aufkeimen. Die Südarmee, die jetzt unter dem Oberbefehl General Peter Nikolajewitsch von Wrangels stand, machte einen letzten Versuch, ins Zentrum vorzustoßen, und erließ, um einen breiteren Rückhalt in der Bevölkerung zu finden, ein »Agrargesetz«, das den bäuerlichen Forderungen weit entgegenkam. Doch auch diese Bemühungen verloren jeden Boden, als sich die Sowjetregierung — nach mehrfach wechselndem Kriegsglück — mit Warschau auf eine neue Grenzziehung einigte, die einen Großteil der polnischen Forderungen erfüllte. Auf sich allein gestellt, brach die weiße Offensive im Süden rasch zusammen. Die Reste der weißen Armee — mit Zivilisten etwa 130000 Mann — wurden mit Schiffen von der Krim evakuiert.
 
Der Sieg im Bürgerkrieg sicherte nicht nur die bolschewistische Herrschaft, er zwang — bis auf Finnland, Polen und die baltischen Staaten — auch die Randgebiete in den Staatsverband zurück. Ihre antibolschewistischen Regierungen wurden — in Weißrussland und in der Ukraine, in Georgien, Armenien und Aserbaidschan, in Sibirien und Mittelasien — gestürzt und durch prosowjetische ersetzt. Diese Entwicklung fand ihren Abschluss 1922/23, als sich diese Staaten mit dem bolschewistischen Russland zur »Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken« (UdSSR; Sowjetunion) vereinigten.
 
Die Schwäche der antibolschewistischen Kräfte bestand vor allem darin, dass sie keine politische Einheit bildeten und, unter sich zerstritten, allmählich auch die Unterstützung der Westalliierten verloren. Was ihre Vorstellungen von der Zukunft des Landes betraf, waren die Differenzen zwischen Anhängern des Zaren, bürgerlichen Liberalen und Sozialrevolutionären mindestens ebenso groß wie die Meinungsverschiedenheiten zwischen Sozialrevolutionären und Bolschewiki. Mochten die Sozialrevolutionäre auch bei den Wahlen zur Konstituante die Mehrheit der Stimmen erzielt haben, in der weißen Armee gaben nicht sie, sondern die alten Generäle den Ton an. Großen Teilen der Bevölkerung, den Bauern und der Arbeiterschaft zumal, war nie ganz die Furcht zu nehmen, dass die alten Zustände zurückkehren würden, wenn die Weißen die Macht eroberten.
 
Das erleichterte den Bolschewiki den Aufbau einer neuen, schlagkräftigen Militärorganisation, der »Roten Arbeiter- und Bauernarmee«. Dabei nahmen sie noch im Winter 1917/18 Abschied von ihrem ursprünglichen Plan und Versprechen, an die Stelle des alten Kaderheeres eine Territorialmiliz mit gewählter Führung zu setzen. Die Wahl der militärischen Kommandostellen wurde rasch wieder abgeschafft, die Milizidee aufgegeben, die anfänglich freiwillige Meldung durch eine Dienstpflicht — unter Ausschluss der besitzenden Schichten — ersetzt und eine straffe Disziplinarordnung erlassen. Zehntausende von Offizieren der ehemaligen kaiserlichen Armee wurden als »Militärspezialisten« bis zum Ende des Bürgerkrieges in die neu aufgestellten Verbände zurückgeholt. Da man ihrer Zuverlässigkeit misstraute, wurden ihnen auf allen Ebenen »politische Kommissare« zur Seite gestellt, die für die Durchsetzung der Parteidirektiven sorgen sollten.
 
 Diktatorische Parteiherrschaft statt eines revolutionären Rätesystems
 
Was bei der Armee begonnen hatte, setzte sich in der Verwaltung des Staates, in der Regulierung der Wirtschaft und bei der Versorgung der Zivilbevölkerung fort: Straffung der Kompetenzen und Zentralisierung der Macht schienen Voraussetzung für das physische und politische Überleben.
 
An der Spitze des Staates verloren der Allrussische Rätekongress und sein Exekutivkomitee nahezu jeden Einfluss auf die Regierung. Neben die verfassungsmäßige Regierung, den Rat der Volkskommissare, trat ein »Rat der Arbeiter- und Bauernverteidigung«, der, im November 1918 gegründet und mit allen Vollmachten ausgestattet, nur sechs Personen umfasste. In den wichtigsten Bereichen baute er sich seinen eigenen Instanzenweg auf, spezielle Probleme versuchte er durch Kommissionen und Kommissare zu lösen. Sie entzogen jenen Organen, die im Oktober zu Trägern der Staatsmacht proklamiert worden waren, den Sowjets, die wichtigsten Aufgaben; sie wurden mithin zweitrangig, ja entbehrlich. So kam es, dass die »revolutionäre Räteorganisation« den Bürgerkrieg nicht überlebte. In den Randgebieten setzten die Weißen ihrer Herrschaft ein Ende, in Zentralrussland löste sie sich, funktionslos geworden, selbst auf. Parallel dazu setzte sich die bolschewistische Alleinherrschaft durch. Nachdem die linken Sozialrevolutionäre die Regierung im Frühjahr 1918 verlassen hatten, bot ein Attentat auf den deutschen Gesandten Wilhelm Graf von Mirbach-Harff im Juli Gelegenheit, den Staatsapparat auch von ihnen zu »säubern«.
 
Das System des Kriegskommunismus
 
Zur »Festigung der Diktatur der Arbeiterklasse und der Dorfarmen« sowie zur Bekämpfung der um sich greifenden »chaotischen Verhältnisse« in der Wirtschaft wurden im Frühsommer 1918 per Dekret alle Großunternehmen verstaatlicht, darunter die gesamte Schwer- und Grundstoffindustrie. Eine neue Verordnung übertrug dem Obersten Volkswirtschaftsrat nun explizit die Gesamtorganisation von Produktion und Verteilung, die Führung der Staatsfinanzen und die Verwaltung der Betriebe. Der Volkswirtschaftsrat baute dazu in den nächsten ein bis zwei Jahren einen gigantischen Apparat auf, der die nationalisierten Betriebe zu erfassen, nach Branchen zu gliedern und jeweils einer zentralen Verwaltung zu unterstellen suchte. Um Widerstände und Reibungsverluste auszuschalten, wurde die Mitsprache der Belegschaften in den Betrieben eingeschränkt, kollektive Führung nach Möglichkeit durch Einmannleitung ersetzt.
 
Zur Sicherstellung der Versorgung hatte die Sowjetregierung bereits im Frühjahr 1918 das staatliche Getreidehandelsmonopol erneuert, den damit beauftragten Organen Sondervollmachten erteilt und zu ihrer Unterstützung bewaffnete Arbeiterbrigaden aufs Dorf geschickt. Die Bauern wurden aufgefordert, alle »Überschüsse« abzuliefern, und »Komitees der Dorfarmen« sollten reichere Bauern anzeigen, wenn diese Vorräte »horteten«. Industriewaren durften nunmehr nur im Austausch gegen Getreide abgegeben werden; ab Anfang 1919 legte die Regierung selbst, aufgrund des staatlichen Bedarfes, fest, wie viel Getreide im Dorf »aufzubringen«, zu beschlagnahmen war.
 
Obwohl viele dieser Maßnahmen aus der Not geboren waren, glaubten Partei- und Staatsführung damit prinzipiell auf dem richtigen Weg zu sein. Der Staat nahm Produktion und Distribution in seine Regie, nachdem er zuvor die ganze Großindustrie nationalisiert und die Bauern zur Ablieferung ihrer Überschüsse verpflichtet hatte; er verkündete die allgemeine Arbeitspflicht, verankerte sie in der Verfassung und ermöglichte ihre Kontrolle durch die Einführung eines Arbeitsbuches; schließlich erfasste er die Bevölkerung in Konsumgenossenschaften und wies jedem auf der Grundlage seiner Arbeitsleistung Lebensmittel zu. So verlor der Markt seine Funktion, Geld wurde, durch die galoppierende Inflation ohnehin entwertet, als Zahlungsmittel überflüssig. Nun musste, wie man glaubte, nur noch ein Verfahren zur Umrechnung von Leistung auf Konsumgüteransprüche gefunden werden, um die »kapitalistischen Ware-Geld-Beziehungen« endgültig hinter sich zu lassen; in den Gremien wurde auch darüber diskutiert.
 
So hielt der Rat der Volkskommissare auch nach Ende des Bürgerkriegs am eingeschlagenen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Kurs fest. Per Verordnung verstaatlichte er im Winter 1920/21 selbst Klein- und Kleinstbetriebe, er diskutierte Projekte, die die kostenlose Verteilung von Lebensmitteln und Massengebrauchsartikeln, die Abschaffung von Mieten, von Gebühren für Energie, Post, Telefon, Wasser und Kanalisation sowie die Aufhebung aller Geldsteuern ins Auge fassten. Die bolschewistische Regierung erhoffte sich dabei einen kräftigen Schub von der Elektrifizierung des Landes. Ein Elektrifizierungsplan, der GOELRO-Plan, wurde ausgearbeitet, auf Parteiveranstaltungen gefeiert und in Gedichten besungen. Lenin prägte die berühmte, optimistische Formel: »Kommunismus — das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes.«
 
Prof. Dr. Helmut Altrichter
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Komintern: Weltrevolution oder sowjetische Interessenpolitik
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Russland: Vom Zarenreich zur Oktoberrevolution
 
 
Russische Avantgarde, herausgegeben von Bodo Zelinsky. Teil 2: 1917-1934. Kunst und Literatur nach der Revolution. Bonn 1991.
 
Rußland unter Hammer und Sichel. Die Sowjetunion 1917-1967, bearbeitet von Gert Richter. Gütersloh 1967.
 Solschenizyn, Alexander: Der Archipel GULAG, übersetzt von Anna Peturnig und Ernst Walter. Lizenzausgabe Reinbek 1994.
 
Die Sowjetunion. Von der Oktoberrevolution bis zu Stalins Tod, herausgegeben von Helmut Altrichter und Heiko Haumann. 2 Bände. München 1986-87.

Universal-Lexikon. 2012.

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